Vorteile eines Verkehrswertgutachtens bei Nachweis des gemeinen niedrigeren Wertes
Nießbrauch und Wohnungsrecht bei Schenkung unter Lebenden
Im Zuge der juristischen Beratung sieht man sich insbesondere bei der Regelung von Erbangelegenheiten häufig mit der Frage konfrontiert, wie man diese im Sinne der Mandanten gestalten kann. Dabei kann eine vorzeitige Übertragung/Schenkung zu Lebzeiten (§ 7 ErbStG) enorme Vorteile für potenzielle Erben bieten.
Problemstellung
Die vorhandene Erbmasse ist im Erbfall unter Berücksichtigung der Freibeträge i.S. des § 16 ErbStG zu versteuern. Dabei übersteigen die Immobilienwerte regelmäßig die vorhandenen Freibeträge und lösen eine entsprechende Erbschaftssteuer unter Berücksichtigung der Steuersätze nach § 19 ErbStG aus.
Lösungsansatz
Die Übertragung von Immobilienvermögen erfolgt unter Einbeziehung eines Nutzungsrechtes wie dem Nießbrauch oder einem Wohnrecht zu Gunsten des Schenkers. Dabei ist es ratsam, dieses Nutzungsrecht im Vorfeld auf den/die Eigentümer selbst zu bestellen. Damit ist sichergestellt, dass dieses Recht schenkungssteuerlich bereits wirksam vereinbart und dinglich gesichert ist (Stichtagsprinzip).
Durch dieses Nutzungsrecht wird der steuerpflichte Wert der Immobilie(n) gem. § 10 Abs. 1 ErbStG i.d.R. deutlich gemindert. Die Höhe dieser Wertminderung kann nun auf zweierlei Weisen ermittelt werden. Zum einen erfolgt eine Bewertung nach dem Bewertungsgesetz, wobei der Wert des übertragenen Grundbesitzes und der Wert des Nutzungsrechtes im Rahmen der starren Vorgaben des Bewertungsgesetztes jeweils ermittelt und gegeneinander, quasi als Gegenleistung, aufgerechnet werden.
Zum anderen kann der steuerpflichtige Übernehmer die Öffnungsklausel nutzen und gem. § 198 BewG einen niedrigeren gemeinen Wert mittels eines Gutachtens durch einen entsprechend qualifizierten Sachverständigen für Immobilienbewertungen nachgewiesen werden. Bei der Erstellung eines Verkehrswertgutachtens nach § 194 BauGB i.V.m. der ImmoWertV kann der Wert des Nutzungsrechtes unmittelbar im Rahmen der Grundstücksbewertung (Wirtschaftliche Einheit) in Abzug gebracht werden. Der Verkehrswert wird u.a. durch den Preis bestimmt, wie er im „gewöhnlichen Geschäftsverkehr“ zu erzielen wäre, d.h. unter frei agierenden Marktteilnehmern.
Dabei kann der Barwert entgangener Mieten unter Berücksichtigung statistischer Lebenserwartungen nach Ertragsüberlegungen ohne Probleme ermittelt werden und ähnelt der Berechnungsmethodik des Bewertungsgesetzes. Die Berücksichtigung dieses Barwertes führt jedoch regelmäßig nicht zu dem Verkehrswert des belasteten Grundstücks. Die Marktteilnehmer sehen in dem an das Leben des Nutzungsberechtigten gebundenen Rechtes einen größeren Nachteil, als dieses durch den Barwert zum Ausdruck gebracht werden kann. Völlig unberücksichtigt bleibt dabei das Risiko, dass der Berechtigte u.U. deutlich länger lebt, als es ihm die Statistik im berechneten Barwert zugesteht. Zudem hat ein Nutzungsberechtigter eine bessere Verhandlungsposition, wenn es um Sanierungen oder Modernisierungen geht, die i.d.R. vom Eigentümer zu tragen sind.
Aus dieser Überlegung heraus muss immer noch zu den wirtschaftlichen Vor- und Nachteilen das Verhalten der Marktteilnehmer, die Lage auf dem Grundstücksmarkt, berücksichtigt werden. Erst durch eine geeignete Marktanpassung kann dann der Verkehrswert des mit einem Nutzungsrecht belasteten Grundstücks ermittelt werden.
Die Höhe der Marktanpassung wird in der Wertermittlungsliteratur[1] mit einem Abschlag von bis zu 30 % als Obergrenze auf den unbelasteten Verkehrswert angegeben. Diese Marktanpassung kann jedoch niemals genau berechnet werden, da keine validen Auswertungen zu solchen Marktanpassungen vorliegen. Es ist lediglich möglich, anhand der wertrelevanten Faktoren sachverständig abzuschätzen, ob ein Marktanpassungsabschlag besonders hoch, oder besonders niedrig ist.
Grundsätzlich lassen sich aber folgende Tendenzen[2] erkennen:
- Je höher die Restlaufzeit, d.h. je länger die Lebenserwartung des Nutzungsberechtigten, desto größer ist die Marktanpassung, da das Risiko über einen längeren Zeitraum besteht
- Je höher die wirtschaftliche Wertminderung im Verhältnis zum unbelasteten Verkehrswert ist, desto größer ist die Marktanpassung (z.B. Nießbrauch im 10-Familienhaus an einer Wohnung oder an allen Wohnungen).
- Je höher das Angebot ist, desto höher die Marktanpassung, da sich potenzielle Kaufinteressenten eher für ein nicht belastetes Objekt entscheiden.
Daneben wird mit einem Sachverständigengutachten im Rahmen des § 198 BewG das Risiko einer Nachsteuer nach § 14 Abs. 2 BewG vermieden.
Fazit
Die lebzeitige Übertragung von Grundbesitz unter Vorbehalt eines Nutzungsrechtes kann angezeigt sein, wenn die Immobilienwerte den Freibetrag nach § 16 ErbStG übersteigen. Durch den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes im Zuge eines Sachverständigengutachtens können Steuerlasten und Risiken gemindert werden.
Artikel in „Neue juristische Wochenschrift (NJW) Spezial“, Heft 14 vom 29.03.2023
[1] Kröll, R., Hausmann, A., Rolf, A.: Rechte und Belastungen in der Immobilienbewertung, 5. Auflage, Köln 2015, S. 178 f.
[2] Kröll, R., Hausmann, A., Rolf, A.: Rechte und Belastungen in der Immobilienbewertung, 5. Auflage, Köln 2015, S. 177 f.
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